Als "Lynn" auf dem Tisch abgesetzt wird, weiß sie, was auf sie zukommt. Gleich werden sie große Hände hochheben und auf Herz und Nieren prüfen: stimmt ihre Färbung des Fells, die Länge und Dichte, ist es schön elastisch, hat die Nase die richtige Rundung, hängen die Ohren perfekt, macht sie einen fitten Eindruck. Das und einiges mehr wird sich Wertungsrichter Thomas Brunner bei dem Meerschweinchen anschauen.
Lynn hängt mal kopfunter, mal befühlt Thomas Brunner ihren Bauch, lässt das Haar gegen den Strich durch seine Finger gleiten, ertastet Lynns Schultern und Gelenke. Brunners Assistentin notiert die Bewertungen auf einem Bogen. Zum Abschluss gibt der Schweizer Ratschläge, ob und wie Lynn in der Zucht eingesetzt werden kann.
Lynn ist ein "Satin-Glatthaar" in Slateblue Fox. Am Samstag hatte sie ihren Auftritt bei der 22. Tischschau des Meerschweinchenclubs Bayern, die am Wochenende im "Bären" in Bernstadt stattfand. Züchter von Tübingen bis München waren gekommen und ließen 250 Tiere bewerten. Die drei Wertungsrichter kamen aus der Schweiz: Melanie Polinelli, Thomas Brunner und Jeroen Heusser.
Bei solchen regionalen Schauen seien die Interessen recht unterschiedlich, erklärte Brunner: "Einige Züchter haben den Ehrgeiz zur Bestätigung ihrer Arbeit einen Pokal zu erringen. Andere sind Neulinge, wollen wissen, ob sie die richtigen Tiere für eine Zucht haben und holen sich Tipps." Letztendlich kamen auch Besitzer, die einfach ihre Tiere begutachten ließen. Diesen unterschiedlichen Ansprüchen versuchte das Gremium gerecht zu werden. Den Reaktionen nach bewältigten sie ihre Aufgabe zu aller Zufriedenheit.
Etwas schwierig sei es, die Tiere im zeitigen Frühjahr für eine Show "auf den Punkt" fit zu bekommen, sagte Brunner. Als Säugetiere, die wie die Menschen kein Vitamin C produzieren können, setze der Winter den Meerschweinchen, trotz Ersatznahrung mangels frischen Pflanzen zu. "Wenn es wieder frisches Gras gibt, regelt sich das von allein", sagte Brunner. Besonders gut gelang die Überbrückung offenbar Sonja Streckfuss aus Asch, die mit Odin bei den "Rex" den ersten Platz belegte. Weitere gute Platzierungen gingen an Sandra Hansmann aus Langenau und die Züchtergemeinschaft Andreas Götz/Andrea Matheis (Dietenheim/Oberstadion).
Die Halter wie auch die vielen Besucher waren sich einig, dass "Meeris", wie die Fachleute sie liebevoll nennen, ganz besondere Tiere sind. Allein die wachen Knopfaugen reichten, "damit ma se mögen muss", schwärmte eine Besucherin. "Schweizer Teddys" sehen aus, als wären sie in einen zu heißen Trockner gekommen, bei einem "Texel" muss man raten, wo vorne und hinten ist und eine Peruanerin schaut unter ihrer Haarpracht hervor, als wollte sie einen zu einem Marinera verführen, dem peruanischen Nationaltanz.
Brunner sind die Nagetiere wegen ihrer Kommunikationsfreude ans Herz gewachsen. Er kenne eine ganze Reihe ihrer Laute. Wittern sie Gefahr, pfeifen sie schrill wie ein Vogel, haben sie Hunger gebe es einen anderen, unmissverständlichen Ton, ebenso zur Begrüßung, wenn sie seine Nähe spürten. "Meerschweinchen sind sehr auf den Halter fixiert, was die Emotionen verstärkt", sagt der Schweizer.
Sonja Streckfuss hat um das Jahr 2000 ihre ersten Meerschweinchen angeschafft und ist ihnen seither verfallen. Etwa 40 Tiere hält die Hobbyzüchterin derzeit und kennt alle mit Namen. Mal ist es ein hellerer Fleck an einer bestimmten Stellen, ein leicht geknicktes Ohr oder der Charakter - vom Schläfer bis zum Schmuser -, die für Unterschiede sorgen. Die Ascherin war wie die anderen Halter eine viel gesuchte Informantin, wenn es ums Anschaffen eines Tieres geht. "Nie ein Tier allein", ist der Grundsatz, denn sonst leiden die geselligen Nager. Ungünstig seien auch ungerade Zahlen. Böcke werden sonst leicht gemobbt, Mädchen zickig: "Da sind sie auch nur Menschen." Wer keinen Nachwuchs anstrebt, dem empfiehlt sie einen Kastrat und einige "Mädels". Das an sich korrekte "Sau" meiden die Liebhaber.
Sehr zufrieden war der veranstaltende Club. Der zweite Vorsitzende Christian Zach und Ausstellungsleiter Horst Preisker waren aus der Oberpfalz angereist. "Das hat sich gelohnt. Was hier den ganzen Tag los ist, ist der Wahnsinn. In diese Gegend müssen wir wieder einmal kommen", freute sich Zach.
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